Die Kikuyu (Eigenbezeichnung: Agĩkũyũ) sind die größte ethnische Gruppe Kenias und machen etwa 22 % der Bevölkerung aus. Sie leben hauptsächlich in den zentralen Hochlandregionen rund um den Mount Kenya, insbesondere in den Countys Kiambu, Murang’a, Nyeri, Kirinyaga und Teilen von Laikipia.
Die Kikuyu sind bekannt für ihren Fleiß, ihre unternehmerische Stärke und ihre tiefe kulturelle Verwurzelung in der Geschichte Kenias.
Sprache
Die Kikuyu-Sprache (Gĩkũyũ) gehört zur Bantu-Sprachfamilie, die wiederum Teil der größeren Niger-Kongo-Sprachgruppe ist. Sie wird von über 6 Millionen Menschen in Kenia gesprochen und zählt damit zu den meistgesprochenen einheimischen Sprachen des Landes.
Das Kikuyu ist eine melodische Tonsprache, in der Tonhöhenunterschiede die Bedeutung von Wörtern verändern können. Typisch sind vokalreiche Wörter und ausdrucksstarke Redewendungen, die oft auf die enge Verbindung der Kikuyu mit ihrer Umwelt, Geschichte und Spiritualität verweisen.
Die Sprache spielt eine zentrale Rolle bei der Bewahrung kultureller Werte und Identität. Viele Kikuyu-Gelehrte und Schriftsteller, darunter Ngũgĩ wa Thiong’o, einer der bedeutendsten afrikanischen Autoren, setzen sich für die Förderung und literarische Nutzung der Sprache ein.
Herkunft und Geschichte
Nach mündlicher Überlieferung stammen die Kikuyu von einem mythischen Ahnenpaar namens Gĩkũyũ und Mũmbi ab, deren neun Töchter die Gründerinnen der neun ursprünglichen Kikuyu-Clans waren. Diese Legende bildet die Grundlage für das starke Clanbewusstsein und die Vorstellung von Einheit durch Abstammung.
Historisch ließen sich die Kikuyu im fruchtbaren Hochland rund um den Mount Kenya nieder, wo sie Ackerbau, Viehzucht und Handel betrieben. Durch den Anbau von Mais, Bohnen, Bananen, Kaffee und Tee entwickelte sich die Region zu einem der wirtschaftlichen Zentren Kenias.
Während der britischen Kolonialzeit spielten die Kikuyu eine zentrale Rolle im Kampf um Unabhängigkeit, insbesondere im Mau-Mau-Aufstand der 1950er-Jahre, der als Wendepunkt in der Geschichte Kenias gilt.
Gesellschaft und Kultur
Die Kikuyu-Gesellschaft ist traditionell patrilinear organisiert, das heißt, Abstammung, Erbe und Clan-Zugehörigkeit werden über die väterliche Linie weitergegeben. Älteste (athuri) haben bis heute großen Einfluss auf familiäre und gemeinschaftliche Entscheidungen.
Kultur und Alltag der Kikuyu sind eng mit dem Land und der Natur verbunden. Der Mount Kenya (Kirinyaga) wird als heiliger Ort verehrt, an dem der Schöpfergott Ngai wohnt. Viele Rituale, Gebete und Opferhandlungen wurden und werden ihm zu Ehren auf Bergen oder unter heiligen Feigenbäumen (mũgumo) vollzogen.
Musik, Tanz und Erzählkunst sind wesentliche Bestandteile der Kikuyu-Kultur. Trommeln, Flöten und Gesänge begleiten Feiern, Hochzeiten und Erntefeste. Die traditionelle Musik vermittelt nicht nur Freude, sondern auch moralische und historische Lehren.
Religion und Weltanschauung
Der traditionelle Glaube der Kikuyu zentriert sich auf Ngai, den höchsten Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat. Ngai gilt als Quelle allen Lebens und als Beschützer der Menschen.
Mit der Ankunft europäischer Missionare im 19. Jahrhundert wurde das Christentum weit verbreitet, und heute sind viele Kikuyu Christen – vor allem Katholiken, Anglikaner und Presbyterianer. Dennoch behalten viele Kikuyu Elemente ihres ursprünglichen Glaubens bei, etwa die Ehrfurcht vor Natur, Ahnen und symbolträchtigen Orten.
Wirtschaftliche und gesellschaftliche Rolle
Die Kikuyu gelten als wirtschaftlich aktivste und am stärksten urbanisierte Gemeinschaft Kenias. Sie sind in nahezu allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens vertreten – von Landwirtschaft über Bildung und Handel bis hin zu Politik und Unternehmertum.
Bekannte Persönlichkeiten wie Jomo Kenyatta, Kenias erster Präsident, sowie viele führende Politiker, Schriftsteller und Unternehmer stammen aus der Kikuyu-Gemeinschaft. Durch ihre wirtschaftliche Dynamik und politische Präsenz haben sie erheblich zur Moderne und Entwicklung Kenias beigetragen.